Wahrheit der Bilder
Prof. Dr. Gerhard Glüher
Die elektronischen wie fotografischen Arbeiten Joerg Auzingers stellen uns bei längerer Betrachtung die Frage nach dem Wesen der Bilder, genauer gesagt nach der Definition ihres Begriffes von „Wirklichkeit“. Zweifellos sind sie da, anwesend für das Auge und den Geist. Sie erlauben sogar ihre Veränderung, stellen sich als Prozesse dar und lassen uns in ihre Kontexte reale Texte einschreiben.
Dennoch hängen sie an einem dünnen Faden, wir müssen sagen an einem dünnen Draht, der ihnen ihr elektronisches Leben verleiht. Licht-Bilder werden geboren durch die Elektronenströme der Projektionen, durch der Weg der Photonen (Welle und Körper zugleich) von der Bildquelle zum Schirm oder der Wand. Die Bilder sind am Ort der Projektion visuell anwesend und gleichzeitig abwesend im Sinne greifbarer Materialität.
Das Problem ist so alt wie die Fotografie. Fielen nicht die Betrachter der ersten fotografischen Abbildungen gerade auf die Eigenschaft der Fotografie herein, als Medium und als Material unsichtbar zu sein? Abbildungstreue oder Realismus, wie auch immer – die Gegenstände der Fotografie scheinen im Hier und Jetzt präsent zu sein. Es ging den ersten Zeugen der technischen Reproduzierbarkeit der Welt ebenso wie Roland Barthes hundertfünfzig Jahre später. Dieser suchte nach dem Wesen der Fotografie und scheiterte an genau der immensen Überzeugungskraft oder hohen Evidenz des Bildes. In dem Moment, als er die Medialität der Fotografie „übersah“, verlor er sein Ziel aus den Augen und nur die Resignation vor dem scheinbar Authentischen blieb ihm als Fazit. Die Tatsache, daß die Dinge einmal dagewesen sein müssen, um ein fotografisches Bild zu liefern, hat vielleicht vor der Erfindung der elektronischen Bilder noch ihre Berechtigung gehabt. Aber selbst diese einzige dünne Verankerung in der Welt oder diese Referenz zu den Tatsachen des täglichen Lebens, ist mit der Virtualität aufgegeben worden.
Die Speicher der Computer und die Magnetbänder der Videotapes bilden selbstreferenzielle hermetische Bildwelten, die keinen „wirklichen“ Referenten außerhalb ihrer selbst brauchen. Diese Entwicklung, die erst am Beginn steht, wäre wie jede Medienentstehung nicht problematisch, wenn sie sich uns als eine Differenz zur Wirklichkeit zu erkennen geben würde. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: die virtuelle Bilderwelt gibt sich als die originale aus und sie benutzt dazu die scheinbar authentischen Wege der Fotografie mit dem fatalen Ergebnis, daß der Betrachter nicht mehr auf den Grund der Bilder blicken kann. In einem dichten Netz aus fotografischen Querverweisen und rein elektronisch erzeugten unwahrscheinlichen Bildern verfängt sich das Denken in einer vagen Zone des Ungewissen. Die Frage nach der Wahrheit des Bildes wird zu einem absurden Schwanken zwischen der Analogie der fotografischen Reproduktion und dem Synthetischen der digitalen Speicher.
Joerg Auzinger will zeigen, daß wir gerade noch bis an die Oberfläche der uns gegenüberstehenden Dinge kommen. Die Zwischenschichten des Wissens „dahinter“, die Blicke unter die Glätte der Schirme ist nicht möglich. Wahrscheinlich will dorthin auch niemand sehen, denn das Leben hat sich ja ohnehin von der Sinnlichkeit auf die Sichtbarkeit verlagert: Verlust vieler Qualitäten zugunsten der einen optischen Sensation. Dies ist eine nüchterne Feststellung ohne Trauer um den Verlust der Vielfalt, denn die neuen Reize entschädigen uns reichlich. Im Kunstwerk spielt sich alles fast wie im Leben auf Oberflächen ab und selbst diese erreichen wir nur per Fernwirkung durch den Druck auf die Tasten oder die Berührung von sensiblen Feldern. Es gibt in Auzingers Installationen keine Rauhheit, welche eine Differenz und damit eine Trennung von ich und Gegenüber oder Welt deutlich greifbar machen könnte. Der Betrachter und das Werk verschmelzen zu einer elektronischen und lichtprojektorischen Interaktion.
Das visuelle wie intellektuelle Eindringen in die Struktur der Arbeiten gelingt trotz aller Homogenität dennoch nur auf der Ebene der haptischen Verschmelzung. Mit dem Tastendruck berühren wir tatsächlich eine optisch aktive Oberfläche, hinter der ein immaterielles Gedankengebäude steht, in das wir lediglich verhaltenen Blicke durch die Fenster der Schirme werfen können. Wirklich sind die kühlen, künstlichen Oberflächen der Tasten und Felder, doch sie sprechen nicht die Sprache der Bilder, die sie entstehen lassen.
Kaum wahrnehmbare Kräfte an der Außenseite der Systeme können die Strukturen im Inneren gewaltig verändern und dem Verursacher ist die Tragweite seines Handelns nicht bewußt. Das Werk wird damit zum Modell für die Welt: wir schreiben unsere Texte und Gedanken in eine riesige Struktur anderer Gedächtnisse ein und sie verschwinden im Laufe der Zeit. Vielleicht tauchen sie Jahrhunderte später in irgendeinem Speicher wieder auf und haben eine Genese hinter sich, welche die (virtuelle) Welt verändert ? In diesem einen Punkt fällt die Wirklichkeit des Kunstwerkes und die Wirklichkeit des Betrachters gegenüber in eins zusammen und wird zu einer faszinierenden Vision zukünftigen Handelns. Lassen wir uns also darauf ein.
Prof. Dr. Gerhard Glüher